05. Februar 2025

Wohnen im Jahr 2050

Andreas Flora in seinem Büro.
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"Mit Teilen den Wohlstand erhalten", Andreas Flora.
Wie werden wir in Zukunft in Tirol wohnen? Antworten darauf kann Architekturprofessor Andreas Flora liefern.

Er forscht im Bereich Nachhaltigkeit und Gebäudelehre an der Uni Innsbruck. Die Landeszeitung hat mit ihm über alternative Wohnkonzepte, Resilienz und Pioniergeist gesprochen.

  • Weniger als 13 Prozent der Fläche in Tirol sind als Dauersiedlungsraum nutzbar, zugleich wächst die Bevölkerung. Wie haben wir da in der Zukunft noch alle Platz?

Mit Planung kann man viel erreichen – vor allem, wenn man den Mut dazu hat, Potenziale auszuschöpfen. Es gibt viel zu wenig Pilotprojekte, also Projekte, bei welchen man ins Risiko geht und Neues probiert. Anstatt Entwicklungen vorahnen zu wollen, die dann gar nicht zutreffen, könnten sich gesetzliche Regelwerke über sogenannte Real-Labore an den gemachten Erfahrungen orientieren. Zum Beispiel könnten ausgewählte Gemeinden zum Testraum für eine Zusammenführung von Wohnen und Gewerbe werden. Durch Mischnutzungen könnten Areale nicht nur wie bisher in die Fläche, sondern auch in die Höhe entwickelt werden: Der Boden wäre durch Bestandsimmobilien bereits bezahlt, die Erschließungskosten dank bestehender Infrastruktur geringer und die kompakte Bauweise würde Energiekosten senken. Auch die Wege der Bewohnerinnen und Bewohner wären kürzer, da viele Einrichtungen vor Ort vorhanden wären. Das nur als ein denkbares Beispiel. Wir sollten mehr versuchen, es braucht mehr Pioniergeist!
 
  • Gesellschaftliche Ansprüche ändern sich, der demografische Wandel schreitet voran. Welchen Einfluss hat das auf den Wohnraum, welche neuen Wohnformen werden sich entwickeln?

Ich finde das genossenschaftliche Wohnmodell interessant. Indem die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner von Beginn an im Planungsprozess eingebunden sind, kann auf den tatsächlichen individuellen Bedarf eingegangen werden. Dank der Nutzung von „Schwarmintelligenz“ entstehen so innovativere Lösungen. Im Teilen von Ressourcen, der effizienten Nutzung von Fläche, etwa durch Gemeinschaftsräume, gemeinschaftlich bewirtschaftete Gärten, Car-Sharing etc., können Kosten gespart und der Wohlstand erhalten werden. Die Finanzierungsmodelle sind da vielfältig, am Ende steht jedoch das Eigentum des Wohnraums; und damit verbunden eine besondere Hingabe und Verantwortlichkeit der Bewohnerinnen und Bewohner. Ein Faktor wird dabei auch vermehrt das Generationenwohnen sein, wodurch Vereinsamung und Altersarmut entgegengewirkt werden kann.
 
  • Welche Rolle werden intelligente Technologien im Wohnbereich spielen?

Mit Blick auf die alternde Bevölkerung werden alltagsunterstützende Assistenzlösungen für ein möglichst langes selbstbestimmtes Leben eine wichtige Rolle spielen. Auch bei der effizienten Nutzung von Ressourcen wie Wasser, Energie aber auch Gütern des täglichen Bedarfs wird uns die Künstliche Intelligenz verstärkt zur Hand gehen. Und nicht zuletzt tragen Digitalisierung und KI zu mehr Flexibilität beim Wohnen bei, indem etwa bei vielen Dienstleistungsberufen die Arbeit mit dem Wohnort noch stärker verschränkt werden kann – Stichwort Home-Office und Co-Working. Einschränkend muss aber hinzugefügt werden, dass solange die Energiefrage nicht gelöst ist, die digitalen Versprechungen nicht uneingeschränkt als Fortschritt verbucht werden können. 
 
  • Energiekrisen und klimatische Veränderungen: Wie können wir Wohnen widerstandsfähiger gestalten?

Die langen stabilen Wohlstandsverhältnisse haben dazu geführt, dass unsere Gesellschaft in manchen Belangen träge geworden ist. Ich beobachte das besonders im Umgang mit Komfortangeboten einerseits und den Herausforderungen der ökologischen Krise anderseits. Mit den anstehenden Transformationen ist jedoch Flexibilität von allen gefordert. Wir brauchen zwangsläufig einen anderen Zugang zu Veränderung. Autarkie – etwa bei der Energieversorgung – ist in diesem Zusammenhang ein Ziel, das leichter kommunizierbar ist, als Nachhaltigkeit. Dadurch steigt bereits schon jetzt die Resilienz gegen äußere Einflüsse. Auch kollektive Wohnformen erhöhen die Anpassungsfähigkeit an die neuen Krisen. Die dabei angewandte kompakte Bauweise sorgt für mehr Energieeffizienz und lässt durch Kooperationsmodelle neue soziale Netze knüpfen. Die Krise bietet hier also die Chance, vor allem im städtischen Bereich, aus der Anonymität herauszutreten. Außerdem sollten wir dringendst die Mobilität neu denken. Wenn wir PKW zum Beispiel in gut angebundenen Quartiersgaragen unterbringen, erhalten wir wieder mehr Räume für soziale Entfaltung sowie Flächen für Entsiegelung und biodiverse Begrünung zur Hitzereduktion.
 
  • Noch ein kurzer Blick in die Glaskugel: Wie sieht Wohnen in Tirol im Jahr 2050 aus? Und welche Rahmenbedingungen muss die Politik dafür schaffen?

Ich denke, dass der Wohnraum an Bedeutung gewinnen wird – als Ort der Sicherheit, der Versorgung und auch des sozialen Austausches. Um gewohnte Leistungen aufrecht zu erhalten, wird sich die Rolle der Wohnenden mehr von reinen Konsumierenden hin zu Agierenden entwickeln – mit Verantwortlichkeit und Gemeinschaftssinn.
Auf politischer Ebene kommt dem effizienten Ressourceneinsatz sicher eine noch wichtigere Rolle zu – sei es etwa bei der Baulandmobilisierung oder der Aktivierung von Leerstand. Mit lenkender CO2-Bepreisung wird das Neue und Energieintensive kostspieliger, das Nutzen von vorhandenen Strukturen aber attraktiver. Im Gegenzug kann der Faktor Arbeit entlastet werden. Ein Schritt hin zurück zur Vernunft, denn in einer nachhaltigen Gesellschaft sollten Ressourcen besteuert werden und nicht menschliche Arbeitskraft. Auch sollte die Politik der Bedeutung des Wohnens in der Form Rechnung tragen, dass gestalterische Qualität in den Genehmigungsverfahren von Wohnbauten eine stärkere Rolle spielt. Ich bin der Meinung, dass bis zum Jahr 2050 die durchschnittliche Qualität der Wohnbauten angehoben werden muss, gleichzeitig aber in der Regulierung von Planungsprozessen und Gebäuden Vereinfachungen und Prioritätensetzungen notwendig sind. Nur gute Gestaltung führt in eine nachhaltige Zukunft. 

Steckbrief: Andreas Flora forscht und lehrt als assoziierter Professor am Institut für Gestaltung der Universität Innsbruck. Mit Blick auf die aktuellen Dringlichkeiten in Design, Nachhaltigkeit und Stadtentwicklung arbeitet er in interdisziplinären Netzwerken an neuen Lösungen der Verdichtung und nachhaltigen Transformation unserer Siedlungsräume.
Interview: Maximilian Oswald
Hinweis: Die gekürzte Version dieses Interviews erschien in der Landeszeitung Februar 2025, Seite 24.
 

Kommentar:
Für die Herausforderungen beim Thema Wohnen gibt es keine einfachen Lösungen. Die Materie ist dafür viel zu komplex. Unterschiedliche rechtliche, wirtschaftliche, gesellschaftliche und ökologische Aspekte spielen dabei hinein. Zugleich erwarten sich die Bürgerinnen und Bürger zurecht konkrete Maßnahmen von der Politik, um in Zukunft leistbares und lebenswertes Wohnen in Tirol sicherzustellen. Ich bin davon überzeugt, dass alle Landtagsfraktionen auch künftig ihre unterschiedlichen Ideen weiterentwickeln, um gemeinsam mit der Forschung die besten Lösungsansätze zu finden.
Sonja Ledl-Rossmann
Landtagspräsidentin
 

 

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