30. Jänner 2024

Digitale Barrierefreiheit ist keine Raketenwissenschaft

Wolfgang Berndorfer ist Experte für digitale Barrierefreiheit. Seit 2020 arbeitet er beim Land Tirol.
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Wolfgang Berndorfer ist Experte für digitale Barrierefreiheit. Seit 2020 arbeitet er beim Land Tirol.
Bereits auf dem Weg zum Gespräch mit Wolfgang Berndorfer, Experte für digitale Barrierefreiheit beim Land Tirol, versuche ich, mich in die Lage von Menschen mit Sehbehinderungen zu versetzen.

Ich schärfe meine Sinne, spitze die Ohren und achte auf mögliche Hindernisse. Einem Lastwagen, der den Gehsteig blockiert, und zwei Fahrrädern, die den Weg behindern, muss ich ausweichen, eine ausgefallene Ampel an einer viel befahrenen Kreuzung erfordert einen Blick nach links und rechts, bevor ich die Straße überqueren kann, und ich nehme den Lärm einer Baustelle und vorbeifahrende Autos wahr. Doch nicht nur kurze Strecken wie diese stellen Menschen mit Seh-Behinderungen vor Herausforderungen: Auch im Internet lauern Barrieren. Sie erschweren den Zugang zu Informationen oder machen ihn gar unmöglich.

Von digitaler Barrierefreiheit profitieren alle

Wolfgang Berndorfer ist seit 2020 beim Land Tirol beschäftigt. Dort widmet er sich als Mitarbeiter der Ombudsstelle für barrierefreies Internet, die in der Servicestelle Gleichbehandlung und Antidiskriminierung angesiedelt ist, der Überwachung und Umsetzung der europaweit gültigen Barrierefreiheitsstandards. „Ich bin sehbehindert, aber nicht blind. In der Mitte sehe ich nichts, nur die Peripherie ist quasi intakt“, erklärt Berndorfer und bezeichnet den Screen Reader – wörtlich übersetzt „Bildschirm-Leser“ – als eines seiner wichtigsten Hilfsmittel am Arbeitsplatz. „Damit kann ich mir vorlesen lassen oder über die Braillezeile lesen.“
Digitale Barrierefreiheit ist für alle Menschen wichtig – besonders aber für sehbehinderte und blinde Menschen, denn sie eröffnet beispielsweise viele neue berufliche Möglichkeiten. „Voraussetzungen dafür sind aber barrierefreie Programme und Dokumente. Erst dann können blinde und sehbehinderte Menschen wirklich neue Berufsfelder erschließen, die sie bisher nicht so selbstständig und selbstbestimmt ausüben konnten“, erklärt Berndorfer.
Seit 2018 sind öffentliche Stellen wie Bund, Länder oder Gemeinden noch stärker gesetzlich verpflichtet, ihre Internetseiten und mobilen Anwendungen barrierefrei zu gestalten. Im Tiroler Antidiskriminierungsgesetz 2005 wurde dies bereits verpflichtend festgeschrieben.

Erfolgskriterien für digitale Barrierefreiheit

Nach den WCAG (Web Content Accessibility Guidelines – Leitlinien für die Zugänglichkeit von Webinhalten) gibt es 86 so genannte Erfolgskriterien für die digitale Barrierefreiheit. Sie sind in drei Konformitätsstufen A, AA und AAA unterteilt. Davon sind rund 50 gesetzlich einzuhalten und die weiteren im Rahmen der Ressourcen empfohlen. Dazu gehört beispielsweise, ob Webinhalte wahrnehmbar, bedienbar oder verständlich sind. Videos müssen mit Untertiteln versehen sein. Bilder und Diagramme benötigen alternative Textbeschreibungen. Texte müssen ohne Verlust von Inhalt und Funktionalität in einem vorgegebenen Rahmen vergrößert werden können.
Derzeit prüft Berndorfer PDF-Dateien auf ihre Barrierefreiheit. „Ich schaue mir zum Beispiel Überschriften genau an und prüfe, ob sie sinnvoll gestaltet sind“, sagt er. „PDF-Dateien ohne Überschriften sind sehr mühsam, weil man den Inhalt nicht filtern und querlesen kann. Dann kommt der technische Teil. Im PDF oder auf einer Webseite darf eine Überschrift nicht einfach nur groß und fett oder mit verschiedenen Schriftarten gestaltet sein, denn dann kann der Screen Reader Überschriften nicht als solche erkennen. Ein Screen Reader stößt auch dann an seine Grenzen, wenn die Seiten unstrukturiert aufgebaut sind und die Lesereihenfolge nicht stimmt. Stehen beispielsweise in einem PDF Texte in zwei Spalten technisch nicht korrekt nebeneinander, dann wird die erste Zeile der ersten Spalte und gleich darauf die erste Zeile der zweiten Spalte vorgelesen. Das ergibt keinen Sinn“, sagt der Experte.

Immer am Ball bleiben

Wolfgang Berndorfer hat Philosophie und Theologie studiert. Nach dem Studium unterrichtete er drei Jahre lang und war dann 25 Jahre in der Blinden- und Sehbehindertenberatung tätig. Zusätzlich absolvierte er einen zweijährigen Universitätslehrgang für digitale Barrierefreiheit an der Universität Linz und bildete sich autodidaktisch weiter. Der Mitarbeiter der Ombudsstelle hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. „Man muss immer am Ball bleiben“, sagt er, „sonst verpasst man die aktuellen Entwicklungen und Anforderungen. Es gibt ständig neue Techniken und Hilfsmittel.“ Berndorfer wünscht sich, dass das Thema digitale Barrierefreiheit stärker in der Ausbildung verankert wird: „Es ist wichtig, dass mehr Menschen über digitale Barrierefreiheit Bescheid wissen. Bestimmte Begriffe und Anforderungen sollte jede und jeder kennen – einerseits um zu sensibilisieren, andererseits um Berührungsängste zu nehmen. Digitale Barrierefreiheit ist keine Raketenwissenschaft“, so sein Fazit.

Tipps für einen barrierefreien Textaufbau

  • Überschriften müssen aussagekräftig sein und den Inhalt gut zusammenfassen, damit die Informationen gefiltert und quergelesen werden können. Außerdem müssen bei der Formatierung Formatvorlagen verwendet werden.
  • Absätze oder Aufzählungen einfügen. Gut gegliederte Texte sind hilfreich. Vor allem für Menschen, die ein Vorleseprogramm benutzen, denn sie helfen, Inhalte schnell zu finden.
  • Vergessen Sie nicht, bei nicht deutschen Ausdrücken oder Textpassagen die Sprache entsprechend einzustellen. Die Textabschnitte werden sonst unverständlich vorgelesen.

Klipptipp: In einem Video gibt Wolfgang Berndorfer einen Einblick in seinen Aufgabenbereich. Hier geht`s zum Video.


 

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