29. November 2021

Corona, quo vadis?

Foto Günther Weiss
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Interview mit Professor Dr. Günter Weiss, Direktor der Inneren Medizin der Universitätsklinik Innsbruck.

Warum verzeichnen wir nach wie vor ein dynamisches Corona-Infektionsgeschehen und warum gilt die Covid- Impfung als zentrales Mittel, um die Pandemie einzudämmen? Professor Dr. Günter Weiss ist Direktor der Inneren Medizin der Universitätsklinik Innsbruck. Als Experte informiert er über Covid-Hospitalisierungen sowie die aktuelle Situation.

Herr Professor Weiss, was antworten Sie Menschen, die sich gegen eine Covid- Impfung aussprechen?
Fakt ist, dass wir nach Einführung der Impfung im Jänner/Februar gesehen haben, wie gut die Impfung wirkt: Es gab rasch fast keine Patientinnen und Patienten mehr aus Altenwohn- und Pflegeheimen. Die Zahlen vieler unabhängiger und hochqualitativer wissenschaftlicher Studien belegen eindeutig die hohe Schutzwirkung der Impfung, insbesondere den Schutz vor schweren Infektionen, Hospitalisierungen und Tod aufgrund von COVID-19.

Stimmt es, dass viele Covid-Geimpfte im Krankenhaus behandelt werden müssen?
Der Impfschutz ist gut, nimmt aber leider mit der Zeit ab. Jene, die als Geimpfte im Krankenhaus behandelt werden müssen, sind Ältere oder chronisch Kranke, die generell eine schlechtere Immunantwort haben sowie Personen, deren Impfung schon länger zurückliegt. Umso wichtiger ist es, die dritte Impfung wahrzunehmen, um das immunologische Gedächtnis aufzufrischen und den Impfschutz zu verbessern.

Zudem verweise ich darauf, dass es auch in der Medizin nichts gibt, was einhundertprozentig wirkt. Auf Basis zahlreicher, hochwertiger wissenschaftlicher Studien hat sich gezeigt, dass der Impfschutz je nach Präparat anfangs bei bis zu 95 Prozent liegt – bei der Delta-Variante wohl um etwa zehn Prozent niedriger. Das heißt aber auch, dass beispielsweise bei einer hervorragenden Impfwirksamkeit von 95 Prozent immerhin fünf Prozent eben nicht geschützt sind. Entscheidend ist aber der Schutz vor schwerer Erkrankung und Tod und hier zeigt sich eine sehr gute Wirksamkeit. Auch bei älteren Patientinnen und Patienten liegt diese bei 80 bis 90 Prozent.

Warum braucht es eine dritte Impfung?
Der Impfschutz währt nicht ewig und wir wissen noch nicht, was das optimale Impfschema ist – wir lernen hier ständig dazu. Aktuell sind wir in einer Phase, wo sich gezeigt hat, dass es eine dritte Impfung braucht, um die Wirksamkeit der Impfung wieder zu verbessern. Das ist nichts absolut Ungewöhnliches, zumal wir das von vielen anderen Impfungen gegen Virusinfektionen wie Hepatitis B, FSME oder Polio auch so kennen und bei diesen eine Grundimmunisierung ebenfalls aus drei Impfungen besteht. Dazu kommt, dass ansteckendere Corona-Mutanten aufgetaucht sind (Delta-Variante), welche die Effektivität und Dauer des Infektionsschutzes durch die Impfung vermindern. Dieser muss durch eine neuerliche Auffrischung – eventuell mit speziell auf solche Varianten zugeschnittenen Impfstoffen – verbessert werden.

Viele Menschen haben gehofft, dass die Pandemie mit der Covid-Impfung endet. Warum steigen die Zahlen aktuell wieder?
Wir sind mit der ansteckenderen Delta- Variante konfrontiert – damit werden zwei bis drei Mal so viele Menschen infiziert. Dies geht einher mit einer zu geringen Impfquote und einer Abnahme des Impfschutzes über die Zeit. Hinzu kommt, dass wir uns in der kalten Jahreszeit wieder mehr in Innenräumen aufhalten, wo Übertragungen leichter stattfinden können.

Warum wird immer von der Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems gesprochen?
Generell sind in den Wintermonaten die Kapazitäten immer recht knapp, da sehr viele Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichsten Erkrankungen, aber auch Verletzungen, eine Versorgung im Spital brauchen. Das betrifft nicht nur die Intensivstationen, sondern insbesondere auch die Versorgung von Patientinnen und Patienten auf Normalstationen. Ein Problem bei Covid-Patientinnen und -Patienten ist, dass diese durchschnittlich viel länger im Krankenhaus verbleiben müssen und beispielsweise für mehrere Wochen eine Behandlung auf einer Intensivstation benötigen. Dadurch werden Kapazitäten gebunden, zudem ist der Personalaufwand und die Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter größer, auch weil man allen – mit und ohne Corona – die bestmögliche Behandlung zukommen lassen will. Das ist bei reduzierten Kapazitäten zunehmend schwierig. An diesem Punkt sind wir bereits angelangt. Je mehr Infektionen mit COVID-19, desto mehr Hospitalisierungen aufgrund dieser Erkrankung und desto knapper werden die Ressourcen und die zeitnahe Versorgung von allen medizinischen Problemen. Umgekehrt gilt: Je mehr Menschen geimpft sind bzw. den Impfschutz erneuert haben, desto eher werden wir es schaffen, die Gesundheitsversorgung in den Krankenhäusern für alle in der Balance zu halten. Neben Impfungen gilt es auch, auf die basalen Hygienemaßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen, Abstand halten oder Lüften zu achten. Man sollte auch in der kalten Jahreszeit durchaus seine Sozialkontakte wahrnehmen, aber eben etwas vorsichtiger sein. Wie zuversichtlich sind Sie, dass wir gut durch die Wintermonate kommen? Während ich im Juli gute Chancen sah, gut durch den Winter zu kommen, wenn wir die Drittimpfung starten und die Impfquote erhöhen, so wird es mittlerweile ziemlich sportlich, einen halbwegs einschränkungsfreien Winter zu durchleben.

Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen?
Wir sind in einer Phase angelangt, wo viele Informationen auf die Menschen niederprasseln und es für die Einzelne bzw. den Einzelnen zunehmend schwierig wird, zwischen fundierter Evidenz sowie wissensbasierten Daten und Mutmaßungen oder Falschinformationen, sogenannten „Fake News“, zu unterscheiden. Hinzu kommt, dass Vieles – auch über die Medien – unreflektiert weitergegeben wird bzw. manche Menschen gar nicht mehr „erreichbar“ sind. Es kommt zu Verunsicherung und man bekommt oft dubiose Argumente im Zusammenhang mit Corona oder mit der Impfung zu hören. Man muss mit Mythen und unbewiesenen Behauptungen aufräumen, hier sind auch jene in der Beweispflicht, die diese verbreiten, auch aus Verantwortung ihren Patientinnen und Patienten und der Gesellschaft gegenüber. Eine offene Diskussion und eine informierte Aufklärung über eine medizinische Maßnahme und deren Für und Wider ist ein Grundprinzip des medizinischen Handels, aber es sollte immer auf Basis des vorhandenen Wissens und auf Fakten beruhen.

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